Was für ein starkes Mädchen!
Donia Rosen beschreibt in Ihrer Autobiographie ihre Flucht im Alter von 11 bis 15 Jahren. Sie hat einen unbändigen Lebenswillen. „Ich will doch leben!“ Dem Ewigen sei Dank, dass sie immer wieder Frauen findet, die ihr zu essen geben, die sie verstecken. Besonders eine Frau, Olena, riskiert ihr Leben für sie.
Donia war ein Opfer des antisemitischen Rassenwahns der Nazis geworden. Nachbarn haben sie verfolgt und verraten – nur weil sie Jüdin war. Doch sie schaffte es immer wieder zu fliehen. Im Wald fand sie Unterschlupf. Er gab ihr Geborgenheit. Sie wusste bald sich im Wald zu bewegen und seine Geräusche zu deuten. So wurde er Freund und schützte sie vor den menschlichen Raubtieren, die sie gierig jagten. Das Vorrücken der Roten Armee bedeutete für sie Befreiung und eröffnete ihr den Weg nach Palästina in eine neue Heimat – ohne Verfolgung, ohne Verstecken.
Produktinformationen:
Hardcover
DinA5
ISBN 978-3-939171-73-7
S/W-Abbildungen
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zum Buch "Mein Freund, der Wald" (Autorin: Donia
Rosen)
von Martin Ost
Das Buch hat nichts mit romantischer Stimmung und Waldbaden zu tun. Hier ist der Wald Zufluchtsort eines jüdischen Mädchens, das den Weltkrieg in der Ukraine überlebt. Kein Buch zum Wohlfühlen. Die Schilderungen von Donia Rosen haben mich bis in den Schlaf verfolgt. Dabei erzählt sie unaufgeregt und in kurzen Sätzen, wie ein Kind sie sprechen könnte: Sie ist beim Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion elf Jahre alt und verliert schnell alles kindliche Vertrauen in eine bergende Welt. Als Halbwaise wächst sie bei ihren Großeltern in einem nach dem Ersten Weltkrieg ukrainisch gewordenen Dorf in der Südwest-Ukraine auf (eine Landkarte wäre angesichts der Namens- und Grenzänderungen hilfreich!). Sie betreiben ein Gasthaus, Mittelpunkt des Dorfes, Anlaufpunkt für Durchreisende. Dort fühlt sie sich geborgen und vermisst den Vater, der wieder geheiratet hat, nicht. zugleich gibt es Zeichen: Der Großvater verschließt vor der Sabbatfeier die Fensterläden, Donias Schulleistungen werden nicht ausgezeichnet, weil sie Jüdin ist, sie steht am Rand, von den anderen misstrauisch angesehen.
Mit dem Einfall der Deutschen bricht die latente Feindschaft offen aus, in mehreren Aktionen werden die Juden vertrieben, in Lager gebracht, erschossen. Auch von ihren Großeltern muss Donia Abschied nehmen - für immer, wie sie spürt. Dass sie überlebt hat, verdankt sie Zufällen und Fügungen, vor allem aber wenigen Menschen, z.B. Olena, eine alte Frau, die sie im Haus versteckt, später in einem Loch im Waldboden, die sie mit Essen versorgt und ihr Leben riskiert. Dass Olena selbst am Rand dieser Gesellschaft steht, verbindet sie mit Donia. In einem Dorf bleibt kaum etwas unbemerkt - immer wieder tauchen Menschen bei Ole_na auf, die die Versteckte finden wollen, mehrfach wird sie im Wald gesehen, am Ende doch verhaftet und entgeht der Hinrichtung nur durch den Brand der Polizeistation. Wem kann ich trauen? Ist ein Lächeln freundlich oder hämisch, Tarnung oder Betrug? Als die Sowjetarmee anrückt, wollen Mitläufer und Täter Zeugen ihrer Taten aus dem Weg räumen, der Rückzug der Deutschen ist ungewiss und das rettende jenseitige Ufer fast unerreichbar. Auch der Weg nach Israel führt zunächst in ein Lager und nur mit Hindernissen in das Land. Rosen studiert Geschichte und Literatur, wird Direktorin der Abteilung "Die Gerechten der Völker" in Yad Vashem. Ein gutes Ende? Die Erinnerungen verfolgen sie, bis sie in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen werden muss. Erst gegen Ende ihres Lebens kann sie in einem betreuten Wohnen mit Familienanschluss etwas Ruhe finden. Dass sie Olena als "Gerechte unter den Völkern" ehren lässt (was diese nie gewollt hat) ist ein Dank an diese unglaublich mutige Frau, deren Leben durch diese Tat wesentlich bestimmt und in Gefahr gebracht wurde.
Dünn ist der Firnis der Zivilisation; eigener Nutzen, Vorurteile und Feigheit bestimmen die Beziehungen von Menschen. Die Welt ist nicht harmlos, weil wir Menschen es nicht sind. Jemand muss Nazi sein, um Nazis zu dienen. Dass Olena am Rand steht, macht sie zur Helferin dieses jungen Mädchens - Mut und Leidensbereitschaft gehören aber auch dazu. Nebenbei wird ein Teil der verwirrenden Geschichte der Ukraine sichtbar, die in unserem Schulunterricht kaum behandelt wurde und über die manche reden, als wüssten sie Bescheid, und doch den Märchen der Sieger auf den Leim gehen.
Man muss den Beteiligten danken, dass sie diese Erinnerungen, in Englisch erschienen, uns zugänglich gemacht haben. Ein Kinderbuch ist das nicht - aber ein wichtiges Buch auch für Heranwachsende, wenn sie von Erwachsenen bei der Lektüre begleitet werden.